Wüstenruf

Nichts bleibt wie es war — alles erbebt im Umbruch.

Gewaltige Stürme und tückische Erosionen
zersetzen die Fundamente unserer Welt.
Ideale bersten unter dem Druck.
Wachstum wird zur Altlast.
Die zügellosen Golems unserer Gier
zermalmen jede Hoffnung.
Auf dem selbstsüchtigen Weg zum Glück
rasen wir ungebremst ins Inferno.

Vor dem ewigen Spiegel verstummen die Lügen Babels.

Worte des Himmels wachen über dem Chaos
und erwecken das Tote zum Leben.
Wie Morgenrot die Nacht des Schreckens vertreibt,
verjagen sie die Schatten der Angst.

Der Morgenstern ruft: Erhebe dich, werde licht!
Quelle des Lebens in dir sind meine Worte.


Minimalgeste. Repetition. Transformation.

Das Essentielle erscheint durch Reduktion auf das Grundlegende. Pinselstrich als elementare Geste. Bildaufbau mittels Wiederholung. Befreiung und Emanzipation bildnerischer Gestaltungselemente. Ihre Beschränkung durch das Gegenständliche beenden, um sie sie selbst sein zu lassen. Ihre Entstehung, ihr Sein und ihre Interaktion freisetzen, entfalten lassen und ergründen.

Eine gerade Linie ist ein Willensakt. Er folgt dem Ideal des Geraden. Die Wiederholung bestätigt das Streben nach dem Ideal, vervollkommnet und stärkt es durch die Idee der Parallelität.

Die erste handgezeichnete Linie läuft nicht gerade und glatt — sie kann es nicht. Sie zeigt Individualität durch ihren Duktus, ihre variierende Breite, ihre Abweichungen in der Richtung und in den Schwankungen des Farbauftrags.

Die Linie wird zu einem seismographischen Abbild der Gegenwart des Schaffenden — seines Kampfes mit der Materie um das Ideal. Eine Linie folgt der anderen. Die nächste Linie verläuft entlang der vorherigen — sie will ausgleichen um bald darauf wieder auszubrechen. Konformität und Kreativität in einer Bewegung. Kontrolle und Freiheit. Wille und Natur.

Scheitert die Linie am Ideal? Oder erreicht sie ihre wahre Bestimmung und Schönheit erst im Spannungsfeld zwischen Idee und Materie? Das unsichtbare Vollkommene im unvollkommenen Sichtbaren.

Die reduzierte Geste in Wiederholung erzeugt nicht wiederholbare, einzigartige Linienfelder, die über die Glut ihrer Schaffung wesentlich mehr enthüllen als nur die Idee: die Verwandlung des Seins.


Textbilder

Thema sind geschriebene Worte der Ewigkeit. Farbgebung und Struktur machen den Textinhalt sichtbar. Eine dominante Farbe entsteht durch die Wiederholung und Verdichtung der Buchstaben zu einer unlesbaren Textur. Nur an bestimmten Stellen des Bildes sind die Aussagen deutlich.

Die Zehn Gebote — als Fundament zum menschlichen und gesellschaftlichen Miteinander — sind Gegenstand einer Bildreihe. Die jeweils aus zwei Wörter gebildete Struktur, Form und Farbe setzen den emotionalen Inhalt der bildnerischen Aussage frei.

Eine andere Kompositionsmethode veranschaulichen Bilder wie 77 Zeichen, Jubelweg oder Messias Stationen. Hintergrund und Vordergrund der Malerei entstammen demselben Text und ergänzen sich durch ihre Gegensätzlichkeit an Struktur und Farbe. Für Vernunft und Vollkommenheit steht die erzwungene Ordnung des Rasters und atomisiert die Sätze in ihren kleinsten Bestandteilen: den Einzelbuchstaben. Im Hintergrund bilden sie Farbtexturen und verschmelzen zu einem Farbklang.

Die Textaussagen erschließen sich jedem, der die Bilder mit einer Portion Entschlossenheit und Freude am Rätsel betrachtet. Der Text wird als reine, optisch geordnete Buchstabensammlung ohne Satzzeichen und Wortzwischenräume wiedergegeben. Die Art der Darstellung nähert sich dem Ursprünglichen durch die Anmutung an die Schreibweise der ältesten hebräischen Schriftrollen wo keine Satz- oder Vokalzeichen zu finden sind.

Die Texte sind entsprechend gekürzte Zitate entliehen aus den Bibelübersetzungen von Martin Buber und Franz Rosenzweig, Naftali Herz Tur-Sinai sowie David H. Stern.


Alle Texte: © Robert Pasitka, 2011